Halt! Stopp! Bevor 43 Ruheständlerinnen und Ruheständler in zwei Gruppen an verschiedenen Tagen an der Führung durch das Anwesen der Villa Reitzenstein teilnehmen konnten, war zunächst eine strenge Ausweis- und Taschenkontrolle Voraussetzung. Das ist verständlich, sind doch in der Villa Reitzenstein die baden-württembergische Landesregierung einschließlich dem Ministerpräsidenten hier zu Hause. Früher war, haben wir uns sagen lassen, keine strenge Kontrolle nötig. Erst seit den RAF-Zeiten in den siebziger Jahren wurde das eingeführt und aus eben diesen Sicherheitsgründen beibehalten.
An der Villa wurden wir von den Herren Pohl (1. Gruppe) und Mohr (2. Gruppe) vor dem Gebäude freundlich in Empfang genommen. Hier erfuhren wir gleich einiges über die Historie dieses Hauses.
Frau Helene Freifrau von Reitzenstein war eine Stuttgarter Verlegerstochter und die Witwe des württembergischen Oberhofmeisters Carl von Reitzenstein und hatte nach dem frühen Tod ihres Vaters im Jahre 1880 ein beträchtliches Vermögen geerbt. Mit einem großen Teil des Vermögens, nämlich 2,8 Millionen Goldmark, ließ sie auf der Gänsheide in Stuttgart in schönster Halbhöhenlage von den Architekten Hugo Schlösser und Johann Weirether in den Jahren 1910 bis 1913 erbauen.
Obwohl die von einem sehr schön gestalteten Park umgebene Villa, eigentlich schon ein Palais, alles hatte was dem damaligen Stand der Technik entsprach, z.B. Zentralheizung, moderne große Küche, Salons, Spielzimmer und Bibliothek, wurde Frau von Reitzenstein dort nicht glücklich. Im Jahre 1921 verkaufte die Witwe das Anwesen an die neue Württembergische Landesregierung, zog nach Mitterdarching (heute Valley) in Bayern und verstarb dort vereinsamt im Jahre 1944.
Nach der Einführung konnten wir uns von der beeindruckenden Architektur, Ausstattung und den Räumen der Villa überzeugen.
In der Eingangshalle durften wir das markante, kunstvolle Fußbodenmosaik aus italienischem Marmor bestaunen. Des Weiteren ist in das eiserne Geländer das Monogramm mit den Initialen der Bauherrin „HR“ eingearbeitet.
Im Gobelinsaal, in dem heute u. a. größere Gesprächsrunden, Konferenzen und auch festliche Essen stattfinden, befinden sich drei große flämische Wandgobelins, die die vier Jahreszeiten darstellen.
Der Runde Saal dient zu Empfängen des Ministerpräsidenten für Gäste aus aller Welt. Zahlreiche Staatsoberhäupter trugen sich hier schon in das Gästebuch ein.
Im Blauen Salon, unter dem schönen Kristallleuchter aus venezianischem Glas und eingerahmt von den seidenen Wandbespannungen, finden Besprechungen in kleinerem Rahmen, aber auch Arbeitsessen und Gespräche bei Kaffee oder Tee statt.
Das Eckzimmer, das einstige Rauchzimmer, beeindruckt durch die wertvolle Wandverkleidung, bestehend aus edlen Hölzern mit kunstvollen Intarsien aus Holz und Perlmutt.
Zum Schluss durften wir den Kabinettsaal mit dem großen ovalen Holztisch begutachten. Dort trifft sich die baden-württembergische Landesregierung zur wöchentlichen Kabinettsitzung. Hier beraten und beschließen der Regierungschef, Minister und Staatssekretäre z.B. Gesetzesinitiativen bzw. Verordnungen und Erlasse.
Während des Rundgang fielen uns auch die in den verschiedenen Räumen bzw. Seitenflure ausgestellten Porträts ins Auge. Neben den Bildern des Ehepaars von Reitzenstein haben auch die früheren Staats- und Ministerpräsidenten des Landes ihren dauerhaften Platz gefunden. Die ehemaligen Landesherren konnten dabei für ihr Porträt ihre Künstler selbst wählen.
Zum Abschluss konnten wir uns im Park der Villa nochmals von der architekto-nischen Schönheit des Anwesens überzeugen.
Die derzeitige Foto-Ausstellung „Gegen das Vergessen“ des Luigi Toscano hat uns auch sehr beeindruckt.
Eine kleine Anekdote am Rande: Just in dem Moment, als sich die zweite Gruppe im Foyer befand, lief ihr der leibhaftige Ministerpräsident Winfried Kretschmann über den Weg. Zwei, drei freundliche Worte und weg war er …
Wir bedanken uns ganz herzlich bei Herrn Pohl und Herrn Mohr für die sehr interessanten, sehr kompetent und kurzweilig durchgeführten Führungen mit einer Fülle von Informationen, die wir jetzt in aller Ruhe nochmals Revue passieren lassen können.