„Zeit ist das, was man an der Uhr abliest …“
Dieses Zitat von Albert Einstein war das Schlusswort von Kunsthistorikerin Monika Will bei den Führungen in der Staatsgalerie Stuttgart zum Thema „Zeit“ in der Malerei mit dem Regionalverband Stuttgart.
Ein wahrlich schwieriges Thema, zu dem der Kirchenlehrer Augustinus im 4. Jahrhundert schrieb: „Was ist die Zeit? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es, wenn ich es aber einem, der mich fragt, erklären soll, weiß ich es nicht“.
Wie unterschiedlich die Künstler Zeit, Bewegung, Vergänglichkeit, gesehen haben, davon konnten sich 26 Seniorinnen und Senioren in zwei Gruppen von Frau Will an verschiedenen Kunstwerken erklären lassen.
Der erste Stilllebenmaler in Deutschland, Georg Flegel, hat in seinem „Stillleben mit Blumen und Esswaren“ von 1630 die Vergänglichkeit dargestellt. Die Sanduhr weist auf die wie Sand verrinnende Lebenszeit hin, die Blumen und Lebensmittel auf den Verfall der Schönheit und auf die Verderblichkeit.
Zum im Barock beliebten Thema der Vergänglichkeit irdischer Existenz gehörte auch die Darstellung der Parzen aus der römischen Mythologie. Dazu zeigte uns Frau Will ein Gemälde von Pietro Bellotti, entstanden um 1684, das die Parze Lachesis als alte, kluge Frau mit dem Schicksalsfaden darstellt. Dazu passte das Modell „Die drei Parzen“ von Johann Heinrich Dannecker aus dem Jahre 1791, eine Tischuhr aus gebranntem Ton mit einer Stundenanzeige in römischen Zahlen, welche die Mätresse und spätere Frau von Herzog Carl Eugen, Franziska von Hohenheim, vermutlich als Geschenk für den Herzog bei Dannecker in Auftrag gab. Parze Klotho spinnt den Lebensfaden, Lachesis hält ihn und bestimmt die Länge und Atropos, die todbringenden Parze ist sanft eingeschlafen, anstatt den Faden abzuschneiden. Der Text in Latein „Das werde ich wünschen“ ist im Altar verewigt. Solange Atropos weiter schläft, wird der Wunsch für ein langes Leben erfüllt.
Weitere Kunstwerke, die uns Frau Will im Rahmen der Führungen erläuterte, sind
- „Inderin vom Tiger angefallen“ von Eugène Delacroix aus dem Jahre 1856, in dem der zeitliche Ablauf des Angriffs und die Dynamik im Bild deutlich erkennbar sind,
- „Das Meer bei Fécamp“ von Claude Monet aus dem Jahre 1881, bei dem die verwischte Gischt viel Bewegung bedeutet,
- „Tänzerinnen“ von Emil Nolde von 1920, in dem der Maler die Bewegungsabläufe der Tänzerinnen visualisiert, die eine sehr dynamisch, freudig, die andere eher etwas träge, düsterer.
- „Violine“ von Pablo Picasso von 1912.
Der Maler verknüpfte verschiedene Ansichten zu einem Bild.
Die Büste „Die Pförtnerin“ von Medardo Rosso (Gips mit Wachsüberzug) aus den Jahren 1883/1884 und „Aus dem Gewebe heraus: Nummer 7, 1949“ von Jackson Pollock von 1949 waren ebenfalls Gegenstand der Führung.
Außerdem wies uns Frau Will auf die „Putzfrau“ hin, eine gegossene Form nach einer Gipsabformung von einem lebenden Modell des Künstlers Duane Hanson aus dem Jahre 1972, die auf den ersten Blick eine Irritation beim Betrachter hervorruft, weil sie so realistisch ausgeführt ist (Hyperrealismus).
Den Abschluss bei der Führung machte das „Wandstück“ an der Wand der Reitertreppe der Staatsgalerie von Karin Sander von 1995, an dem mit Sicherheit jeder der Teilnehmenden achtlos vorbeigegangen wäre. Das einfallenden Licht aus den gegenüber liegenden Fenstern und die vorbeigehenden Museumsbesucherinnen und Museumsbesucher werden von dieser hochpolierten, glänzenden Wandfläche widergespiegelt, so, dass eine Dynamik entsteht und das „Wandstück“ zu einem sich ständig wandelnden Bild wird.
Nach dem eingangs erwähnten Schlusswort von Frau Will konnten wir uns nur noch herzlichst bei Frau Will für die wieder äußerst informative Führung bedanken und freuen uns jetzt schon auf die geplanten Führungen durch die Ausstellung „Modigliani – Moderne Blicke“ in der Staatsgalerie im Februar 2024.