Pflegevollversicherung

Mehrheit für Reform bei Pflegeversicherung – es gibt aber auch gute Gründe dagegen

Eine große, parteiübergreifende Mehrheit der Bevölkerung ist für den Ausbau der gesetzlichen Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung. Das hat eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag des Bündnisses für eine solidarische Pflegevollversicherung ergeben. Dabei zeigt sich die deutliche Mehrheit für eine Pflegevollversicherung von 81 Prozent sowohl unter Anhängern und Anhängerinnen der SPD (79 Prozent), der Grünen (82 Prozent), als auch der CDU (78 Prozent) sowie der FDP (76 Prozent).
Das Bündnis für eine solidarische Pflegevollversicherung sieht seine Forderung angesichts der parteiübergreifenden hohen Zustimmungswerte untermauert und fordert die Bundesregierung dazu auf, den Ausbau der Pflegeversicherung jetzt anzugehen. Der PKV-Verband meldet Bedenken an. Eine Pflegevollversicherung vermittle den Eindruck, damit seien alle Kosten rund um die Pflege abgedeckt, was aber nicht zutreffe.
Derzeit müssen Pflegebedürftige im ersten Jahr ihres Aufenthaltes in einem Pflegeheim durchschnittlich rund 2.700 Euro pro Monat selbst aufbringen. Davon entfallen allein auf die pflegerische Versorgung rund 1250 Euro, der Rest setzt sich zusammen aus Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Investitionskosten. Nur eine kleine Minderheit von 14 Prozent geht laut Umfrage davon aus, diese Kosten im Pflegefall selbst stemmen zu können. Lediglich sechs Prozent der Befragten halten Zusatzkosten trotz Pflegeversicherung in dieser Höhe für angemessen. Besorgniserregend ist laut dem Bündnis, dass eine große Mehrheit (76 Prozent) deutlich unterschätzt, was sie im Falle von Pflegebedürftigkeit in einem Heim zahlen müssten.
Die repräsentative Umfrage wurde vom 1. August bis 7. August 2023 vom Markt- und Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des Bündnisses durchgeführt. Insgesamt wurden 1010 Personen über 18 Jahre im Rahmen der Mehrthemenumfrage des repräsentativen Online-Befragungspanels forsa.Omninet befragt.
Das Bündnis für eine solidarische Pflegevollversicherung setzt sich für eine Pflegeversicherung ein, die alle pflegebedingten Kosten übernimmt – unabhängig davon, ob es sich um stationäre oder ambulante Pflege handelt. Auch die familiäre Pflege dürfe dabei nicht aus dem Blick geraten. Andernfalls drohten Überlastung und Unterversorgung, weil notwendige Leistungen aus finanziellen Gründen nicht in Anspruch genommen werden: „Sämtliche durch einen unabhängigen pflegerischen-medizinischen Dienst für bedarfsgerecht erachtete Pflegeleistungen müssen in vollem Umfang und ohne Eigenanteile vollständig von den Kassen finanziert werden”, so die gemeinsame Forderung des vom Paritätischen Wohlfahrtsverband und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di initiierten Bündnisses mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), Sozialverband Deutschland (SoVD), Bundesverband der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen, Deutschen Frauenrat, BIVA-Pflegeschutzbund, der Volkssolidarität und AWO.

Eine schöne Vorstellung, die unerfüllbare Hoffnungen weckt

Einer Pflegevollversicherung, die alle Pflegekosten deckt und dafür sorgen soll, dass die Pflege nicht in die Altersarmut führt, das klinge zunächst einmal richtig gut, meint man auch beim Seniorenverband. Wer wollte nicht, dass die Solidargemeinschaft alles bezahlt. Klar, dass eine große Mehrheit in einer Umfrage dafür ist, sagt Landeschef Joachim Lautensack. Zugleich weist er aber auch darauf hin, dass ein großer Systemwechsel wahrscheinlich so schnell nicht kommen wird. Zu viele Fragen seien noch ungeklärt. Vermutlich gäbe es auch schon längst eine solche „Vollkasko“-Pflegeversicherung, wenn das so einfach, konsensfähig und vor allem auch bezahlbar wäre.

Noch kein Grund für großen Jubel und Applaus

Es gab in den vergangenen Jahren schon so viele Kommissionen, Gutachten und Expertenrunden. Meistens blieb es beim guten Willen, bei Ankündigungen und beim Drehen an kleinen Stellschrauben und an guten Vorschlägen herrscht kein wirklicher Mangel, so die Einschätzung des Seniorenverbands.

Zu den Fakten: Die Gesetzliche Pflegeversicherung ist 1995 bewusst als Teilabsicherung eingeführt worden. So hat man sichergestellt, dass im Pflegefall auch Alterseinkünfte und Vermögen eingesetzt werden kann. Das mache Sinn, ist man beim Seniorenverband wie auch beim PKV-Verband überzeugt. Schließlich sei bei kaum einem existenziellen Risiko die persönliche Vorsorge so gut planbar wie in der Pflege, etwa durch persönliche Rücklagen oder durch eine Pflegezusatzversicherung. So werde vermieden, dass die Solidargemeinschaft überfordert werde.

Der PKV-Verband nennt noch andere Gründe, die gegen eine Vollversicherung sprechen. Eine solche Vollversicherung bedeute Zusatzlasten für die Beitragszahler, aber keine gezielte Hilfe für ärmere Pflegebedürftige: „Die vermögendste Rentnergeneration aller Zeiten“ erhielte so zusätzliche Leistungen aus der Gießkanne, obwohl die meisten in Eigenverantwortung für ihre Pflegekosten selbst vorsorgen könnten.

Auch die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva-Maria Welskop-Deffaa, warnte vor einer Überfrachtung der Pflegeversicherung. „Wir brauchen kein Erbenschutzprogramm“, sagte sie.

Es wäre fatal, so der PKV-Verband, mit einer erzwungenen Einheitsversicherung dieses unstabile Umlagesystem auf noch mehr Versicherte auszuweiten. Das würde die jüngeren Generationen völlig überlasten. Unabhängig davon wäre eine Pflegevollversicherung schon für sich genommen nicht zielführend. Der Verband der privaten Versicherer befürchtet zudem, dass der Anreiz zur Eigenvorsorge verloren ginge und der Begriff „Pflegevollversicherung“ suggerieren würde, dass diese sämtliche Kosten im Fall der Pflegebedürftigkeit abdecken würde. Im Pflegeheim – dort wo das Problem der Finanzierungslücke am größten ist – sei jedoch lediglich die Übernahme der pflegebedingten Eigenanteile gemeint. Das wären im Bundesdurchschnitt derzeit rund 1.200 Euro. Die Kosten für Unterkunft und Pflege sowie die Investitionskosten müssten weiterhin selbst bezahlt werden – immerhin wären das auch noch einmal rund 1.300 Euro. Mit Einführung einer „Pflegevollversicherung“ dürften viele Menschen einen falschen Eindruck gewinnen, selbst gar nicht mehr vorsorgen zu müssen – und stünden so im Pflegefall doch wieder vor einer Finanzierungslücke.
Überdies weist der PKV-Verband darauf hin, dass eine Pflegevollversicherung vor allem die Oberschicht der Bevölkerung subventionieren würde, denn mit einer von der Solidargemeinschaft finanzierten Vollversicherung würden auch viele Menschen profitieren, die sich aufgrund ihres Vermögens eine gute Pflege heute schon leisten könnten. Letztlich entstünden hohe Kosten für die Gesamtgesellschaft und die öffentlichen Haushalte. Zudem würden auch die Sozialabgaben weiter steigen und die Beitragszahler zusätzlich erheblich belasten.

„Wie auch immer: Gesundheitsminister Karl Lauterbach verspricht Vorschläge für das kommende Jahr und kündigt eine Reform aus einem Guss an. Ein schwieriges Unterfangen, zumal vor allem in der Pflege enormer Fachkräftemangel und Überlastung herrscht. Wir dürfen also gespannt sein“, sagt Seniorenverbandsvorsitzender Joachim Lautensack.